Der Zauberkessel

Titelbild Geschichte "Der Zauberkessel"

Der Zauberer Ruxlipux stand an der Balustrade auf dem Balkon seines Turmes. Der kalte  Wind pfiff ihm um die Ohren und die gelbbraunen Herbstblätter wirbelten durch die Luft. Ein Gewitter zog am Horizont hinter den Häuser der Stadt auf und die Wolken hingen tief und schwarz über den Dächern.

Der hoch gewachsene, hagere Mann liebte dieses Wetter, er fühlte sich dann immer so lebendig wie sonst selten. Während der Wind seinen langen schwarzen Umhang hin und her warf und an den Spitzen zerrte, atmete Ruxlipux tief ein. Dieses Wetter hatte er selbst beschworen und er war stolz auf den Sturm. Dabei war es eigentlich nur das Ergebnis seines frustrierten Geistes und laut Zauberaufsichtsbehörde nicht erlaubt. Wahrscheinlich würde in den nächsten Tagen ein Strafzettel durch sein Fenster flattern.

Er ging in das kleine Arbeitszimmer, durch welches man den Balkon betrat und ließ er sich auf das kleine Sofa plumpsen. Nachdenklich starrte er an die fleckige Decke. Was machte er bloß falsch? Er hatte beim Versuch einen Liebestrank zu brauen alle seine alten Rezepte ausprobiert und auch an neuen herumexperimentiert. Das einzige Ergebnis war, dass sich offenbar die Ziege der Nachbarshexe in ihn verliebt hatte. Immer, wenn er das Haus verließ, folgte sie ihm nun auf Schritt und Tritt und blökte am laufenden Band. Sie gab erst Ruhe, wenn er sie streichelte. Dabei müffelte sie ganz furchtbar und er wollte nicht nonstop Ziegen streicheln. Er war eigentlich ein sehr guter Tränkebrauer, führte sogar einen recht erfolgreichen kleinen Trankladen aber so ein Liebestrank für mehr als vorübergehende Verliebtheit, das war schon eine Hausnummer.

„Günie!“, riss ihn eine hohe Frauenstimme aus den Gedanken. Er schreckte hoch. „Güüünniiiie!“, rief sie ein weiteres Mal, diesmal schon ungeduldiger. Der Zauberer zögerte. „Güüüüüüünniiiiiiiieee!!!!!“, schrie sie nun schrill durch den Raum und brachte die Laborapparaturen in dem Zimmer zum Wackeln. Die Stimme kam aus dem Kamin,  gleich neben dem Labortisch. In diesem brannte eine große, purpurne Flamme, in dem ein Frauenkopf schwebte. Ruxlipux fiel vor Schreck fast vom Sofa. Mit klopfendem Herzen rannte er zum Kamin. Es war seine Mutter, die ihn über das Flammentelefon angerufen hatte. Sie war eine der wenigen, die ihn bei seinem richtigen Namen nannte – er hasste das. Seine Eltern hatten ihm bei seiner Geburt den Namen Günther gegeben. Nach Ruxlipux Meinung hätten sie keinen langweiligeren wählen können. Seine Freunde hießen Rasputin, Lucifer und Belzebub oder hatten andere wohlklingende Zaubernamen. Und er? Er hieß Günther. Deswegen nannte er sich grundsätzlich nur bei seinem Nachnamen – Ruxlipux oder einfach Ruxli.

„Mutter, was für eine Überraschung!“, keuchte Ruxlipux, und strich sich nervös die silbernen Haare aus dem Gesicht, „Was kann ich für dich tun?“

„Mein lieber Günni …“, säuselte seine Mutter mit der viel zu hohen Stimme weiter, „ … wie geht’s dir denn? Hast du mein Päckchen mit den Schreikeksen bekommen, dass ich dir geschickt habe?“

Ja, das hatte er. Als er das Paket geöffnet hatte, war ihm fast das Trommelfell geplatzt. Eigentlich aß er die Kekse sehr gern, nur leider waren sie dieses Mal etwas zu laut geworden.

„Die waren sehr lecker.“, antwortete er brav, „Ich habe schon alle aufgegessen.“

„Weißt du, du könntest dich ruhig mal melden! Ich mache mir schon Sorgen um dich, mein Junge. Mir geht’s ja gut. Ich war heute mit Rüpel beim Tierarzt. Er pupst so viel in der letzten Zeit…“.

Rüpel war ihr Kater. Es folgte ein scheinbar endloser Monolog über Rüpels Verdauung, sein Fress- und Schlafverhalten und das der Nachbarin. Sie hatte ihn sich den Kater zugelegt, als Ruxlis Vater von ein paar Jahren gestorben und sie ins Seniorenheim für betagte Hexen und Zauberer gezogen war. Im Alter fehlten ihr die  Lebensgrundlagen Mann, Haushalt und Kind und sie konzentrierte sich nun voll und ganz auf das Tier. Eigentlich war Rüpel kerngesund, aber irgendwas fand sie immer, weswegen sie mit ihm zum Arzt musste.

„… Und außerdem wollte ich dir noch mitteilen, dass ich jemanden kennengelernt habe. Einen gutaussehenden Vampir aus dem Harz. Er heißt Friedrich, ein sehr angenehmer Herr. Ich möchte gern, dass ihr euch kennenlernt.“

Was? Seine Mutter hatte jemanden kennengelernt? Er verschluckte sich an seiner eigenen Spucke und musste husten. Ruxlipux freute sich für sie, er gönnte ihr die Gesellschaft. Dann würde sie Rüpel vielleicht ein bisschen weniger mit Medikamenten und Behandlungen traktieren. Aber wie hatte sie das geschafft, mit ihren 236 Jahren? Und warum klappte das bei ihm nicht?

„Ich gratuliere dir Mutter! Es freut mich, dass du nicht mehr allein bist. Wie hast du ihn denn kennengelernt?“

„Es gibt da so einen neuartigen Liebeskessel, hast du da noch nicht von gehört? Die gibt’s überall! Du sagst dem Kessel einfach deine Eigenschaften und was du magst und dann sucht er die passende Hexe für dich, mein Schätzchen. Das wäre auch was für dich! Nie bringst du eine nette junge Hexe mit.“ Sie klang beleidigt.

„Auf keinen Fall!“, blockte Ruxlipux gleich ab. „Sowas brauche ich nicht.“

Warum fing sie nur immer wieder damit an. Als hätte er sich nicht schon so oft mit Hexen zu getroffen. Es hatte aber einfach nie passen wollen. Er genoss die Unterhaltungen immer sehr, mit einigen von ihnen war er auch noch gut befreundet. Eine Beziehung war es aber nie geworden. Die eine oder andere hatte ihn als Kühlschrank oder verschlossen Aktenschrank ohne Schlüssel bezeichnet. Das letzte Date war jetzt auch schon gut einhundert Jahre her.

„Na, überleg es dir. Ich möchte auf jeden Fall, dass du am Samstag zu mir zum Kaffee kommst.“

„Ja, mal sehen. Ich glaube, ich hab da nen Auftrag. Ich muss jetzt auflegen, ich ruf dich zurück. Bis bald!“, murmelte er, nun noch missmutiger und beendete das Gespräch. Er brauchte sowas auf keinen Fall.

Am nächsten Morgen stand er in strömendem Regen um acht Uhr vor dem Geschäft eines Kesselhändlers am anderen Ende der Stadt. Sein Stammhändler hätte ihn dafür sicher mit großen Nasenwarzen verflucht. Leider war dieser aber eine furchtbare Tratschtante, sodass gleich die ganze Zauberercommunity über Ruxlis Liebesprobleme informiert gewesen wäre.

Im Geschäft bildeten Regale, die bis zur Ladendecke reichten, schmale Gänge, durch die immer nur eine einzige Person hindurchpasste. An der Decke brannten auf spinnwebigen Kronleuchtern Kerzen, deren Licht sich nur schwerlich durch das Halbdunkel kämpfen konnte. Die Regale waren mit allen Sorten von Kesseln vollgepfropft. Es gab Kessel für spezielle Tränke – Ruxli hatte davon schon zehn Stück im Lager, Waschkessel für Handwäsche-Zauberroben, Kessel für Kartoffeleintopf und unzähliges sonstiges Zubehör. Für Ruxlipux war es gefühlt noch mitten in der Nacht, die meisten Hexen und Zauberer waren Nachteulen, gingen spät zu Bett und schliefen morgens lang. Er gehörte ebenfalls zu diesen Magiern und war noch hundemüde. Immerhin war so die Wahrscheinlichkeit kleiner, dass ihn jemand sah. Er schämte sich ein wenig für seinen Liebeskessel.

„Eine gute Wahl, das ist gerade der letzte Schrei!“, versicherte ihm der Händler. Der Zauberer murmelte noch ein „Dankeschön!“ und eilte auf dem schnellsten Weg nach Hause, seine neue Errungenschaft so gut es ging unter dem Mantel verborgen.

Den Kessel an seinem neuen Assistenten, Herrn Kraushaar, vorbei zu schmuggeln war weniger einfach. Der Werwolf hatte nämlich eine hervorragendes Nase. Ruxlipux  hatte den gutaussehenden Mann vor ein paar Wochen eingestellt. Der Assistent war klein, stämmig und, wie viele Werwölfe, sehr stark behaart. Er sprach nicht viel aber man sah an seinen schwarzen wachen Augen, dass er sehr viel mitbekam. Sein Job war es, die Bestellungen an Tränken aufzunehmen, das Lager im Blick zu behalten, Zutaten zu bestellen, die Lieferungen entgegenzunehmen, die Buchhaltung und was sonst noch so alles anfiel. Der Zauberer hatte sich vor einer Weile eingestehen müssen, dass er zwar ein passabler Tränkebrauer, aber leider ein miserabler Kaufmann war. Seitdem der Assistent im Turm war, lief das Geschäft stabil.

Ruxlipux hatte sich extra noch ein großes Bündel Zitronenmelisse gekauft, damit Herr Kraushaar nicht den Kessel riechen konnte. Er betrat den Verkaufsraum seines Ladens im Erdgeschoss, über den man die Treppe in die oberen Stockwerke erreichte. Herr Kraushaar war nicht zu sehen und Ruxlipux wollte schon erleichtert durchatmen doch es dauerte nur Sekunden, bis der kleine Mann aus dem Büro im Hinterraum auftauchte.   

„Guten Morgen Chef und gutes Gelingen!“, sagte er in seiner ruhigen Art. Er hatte die Situation innerhalb von Sekunden durchblickt.

„Danke!“, nuschelte Ruxlipux peinlich berührt und stieg rasch die Wendeltreppe hinauf. Vorbei an etlichen Gemälden mit lebendigen oder schon toten Familienmitgliedern und verschiedenen Türen zu Lagerräumen, Abstellkammern und sonstigen Räumen, die er allein eigentlich gar nicht benutzte. Er hatte den Turm vor vielen Jahren einem älteren Koboldehepaar abgekauft. Die ihn in jungen Jahren  für sich und ihre zwanzig Kinder gebaut hatten. Kobolde waren für ihre Kinderliebe bekannt. Irgendwann waren aber alle Kinder ausgezogen und das Koboldehepaar hatte den Turm in eine nette kleine Eigentumswohnung eingetauscht.

Dort angekommen packte er den Kessel sofort aus und studierte die Gebrauchsanweisung.

Zuerst musste er Wasser einfüllen und ein bisschen Fledermauspulver hinzufügen. Sich dann beim Kessel anmelden, hineinsprechen, was seine wichtigsten Eigenschaften sind, was er sich von seiner Partnerin wünschte und was er so mochte und wo er wohnte. Danach suchte der Kessel nach Hexen in seiner Stadt, die zu ihm passen sollten. Er konnte sich deren Bilder im Kessel anschauen und ihnen eine Nachricht zukommen lassen. Ok, das war kein Problem. Nach dem Wasser und dem Fledermauspulver machte er Feuer unter dem Kessel, setzte sich auf einen Hocker und sprach in die lila Flüssigkeit. Er kam sich ein bisschen blöd vor. Das Wasser begann zu brodelt und es wurden ihm tatsächlich drei Bilder von Hexen gezeigt. Er schickte der erstbesten auch gleich eine unbeholfene Nachricht, dass er sich gern mit ihr treffen würde.

Erst mal passierte … nichts.

Ach, Blödsinn!, dachte sich der Zauberer und wollte sich schon wieder an seinen Labortisch stellen. Auf einmal hörte er hinter sich ein kleines PING. Das Wasser im Liebeskessel wechselte seine Farbe von lila zu zartrosa. Eine piepsige Stimme sprach:

Hallöchen Ruxlipuxli! Treffen ist cool, morgen um 16.00 Uhr im Café „Zum Besen“ wäre super.

Freue mich schon, Deine Tarantula

Och, das ging ja schneller als gedacht, freute sich Ruxlipux.

Am nächsten Tag wartete er vor dem Café. Da es Herbst war, hatte das Personal bereits alle Tische und Stühle des Außenbereiches weggeräumt und so stand er etwas einsam vor der verschnörkelten Jugendstil-Fassade. Der Wind blies unangenehm kalt, der Himmel war wolkenverhangen und Ruxli hatte den Kragen seines bodenlangen Mantels hochgeschlagen. Als Erkennungszeichen hatten sie vereinbart, dass er seinen giftgrünen Spitzhut tragen würde – sein Lieblingsmodell.  Mit etwa fünfzehn Minuten Verspätung traf auch Tarantula ein. Sie ging ihm ungefähr bis zur Schulter, war etwas kräftiger, hatte ein sehr liebes und freundliches Gesicht und trug, wie abgesprochen, eine glitzernde Katzenbrosche am Mantel.  Sie sieht eigentlich ganz nett aus, dachte sich der Zauberer.

„Hallöchen Ruxlipux! Wie geht’s dir? Ist dir nicht zu kalt?“, piepste sie. „Hallo!“, antwortete er etwas unbeholfen. Sie bestellte einen Feuertee und ein Kreischkäsebrot. Ruxlipux mochte nichts essen. Er fand die Situation eigenartig. So ganz wohl bei der Sache war ihm nicht. Danach redete sie. Und zwar ohne Unterbrechung. Von ihren 20 Katzen, von deren Verdauung, deren Fress- und Schlafverhalten und dem der Nachbarskatze und, und, und.

20 Katzen?, fragte sich Ruxlipux. Er mochte Katzen, aber so viele?

„Du solltest dir einen wärmeren Mantel anziehen und mehr Tee trinken. Das ist gut für die Gesundheit! Isst du denn regelmäßig, du siehst etwas mager aus?“, fragte sie durch die dicken Brillengläser hindurch mit großen Augen.

Sie ist wirklich lieb, dachte er sich. Er hatte selten einen so fürsorglichen Menschen getroffen. Außer seiner Mutter vielleicht, aber das war irgendwie auch das Problem. Er mochte nicht seine Mutter daten.

Dem Zauberer wurde die grenzenlose Fürsorge ein bisschen zu viel. Nach einer Weile entschuldigte er sich, er müsste noch ein paar Tränke fertig brauen und stürzte nach Hause.

Im Turm angekommen wartete schon Herr Kraushaar hinter dem Verkaufstresen. Ruxlipux  atmete er erstmal tief durch.

„Na, wie wars?“, fragte Kraushaar mit gewohnt ruhiger Stimme.

„Es war … wie soll ich sagen … interessant.“, druckste Ruxlipux herum.

„Interessant?“, hakte Kraushaar nach. Aus seinen Augen sprach eine Mischung aus Skepsis und Belustigung.

 „Nicht mein Typ!“, war die knappe Antwort. Er stieg die Treppe hinauf und legte sich eine Antwort zurecht, mit der er Tarantula möglichst schonend beibringen könnte, dass das mit ihnen beiden wohl nichts werden würde.

Als er gerade eine Nachricht an sie verfasst und losgeschickt hatte, zuckte er von einem erneuten PING zusammen und der Liebeskessel leuchtete wieder in demselben Zartrosa vom ersten Mal auf. Ruxli zögerte. Er war sich nicht sicher, ob er sich noch einmal darauf einlassen sollte. Doch da schnurrte schon eine tiefe, samtige Hexenstimme aus dem Kessel:

Hallooo, Ruxlipuxli! Ich denke, wir sollten uns mal kennenlernen. Wir wäre es morgen um 15.00 Uhr im Café „Zum Besen“?

Bis mooooorgen, deine Vreni

Schon wieder „Zum Besen“? Als gäbe es keine anderen Zaubercafés in der Stadt. In Liebes- und Datingangelegenheiten unerfahren wie er war, akzeptierte er trotzdem und fand sich am nächsten Tag um 15 Uhr im Besen sitzend und in seiner Teetasse rührend wieder. Draußen regnete es wieder.

Vreni erschien in eine hochgeschlossenen quietschpinken samtigen Kleid. 

„Hallo!“, schnurrte sie, wie eine Katze im Wohlfühlmodus. „Hi!“, antwortete Ruxlipux, diesmal schon weniger aufgeregt, als beim letzten Mal.

„Woher kommt denn der Name Vreni, wenn ich fragen darf, von ‚Veronika‘?“

„Nein, er kommt von „Schizophrenia“, wie heißt du denn mit richtigem Namen?“

„Günther.“

„Oh, das tut mir Leid!“

Diese Reaktion war nichts Neues. Dennoch wurmte es Ruxli sehr.

Vreni redete deutlich weniger als Tarantula. Und wenn doch, dann sprach sie über ihre Arbeit an der Zauberakademie. Sie war Lehrstuhl für Gestaltwandlung angestellt, forschte an einem Trank für Werwölfe, der die Verwolfung an Vollmondnächten stoppen sollte, falls man am nächsten Tag einen wichtigen Termin hatte oder sowas. Die Verwolfung war für Werwölfe eine anstrengende Sache. In der Regel fühlten sie sich am nächsten Tag wie gerädert und brauchten einen Tag Urlaub. Das war angesichts der Tatsache, dass sie sich unfreiwillig die ganze Nacht mit Herumgerenne und Mondanheulen um die Ohren schlugen, gar nicht verwunderlich aber für den ein oder anderen Werwolf oder dessen Arbeitgeber gelegentlich ärgerlich.

Das Gespräch war interessant. Als Experte für Zaubertränke war er mit dem Thema durchaus vertraut und es ergab sich eine angeregte Diskussion. Gegen Abend verließen sie beide wieder das Café. Ruxli hatte eingewilligt, bei einer Studie mitzuwirken und öfters beim Stammtisch der Fakultät vorbeizuschauen. Sie hatten sich hervorragend verstanden. Romantik war allerdings keine aufgekommen, das hatten sie beide festgestellt.

Am nächsten Tag saß Ruxli mit Kraushaar im Büro zur allmorgendlichen Dienstbesprechung und sie gingen die Liste an Bestellungen durch.

„Frau Krummbesen hat gestern Nachmittag noch einen Antifaltentrank bestellt. Sie hätte ihn gern bis Freitag, weil ihre Tochter am Samstag heiratet und Frau Krummbesen gern hübsch für die Party sein möchte.“, berichtete Kraushaar gerade, „Übrigens, wie lief‘s denn gestern?“

„Och, nicht schlecht.“, antwortete Ruxli, „Es ging um Tränke, sie forscht an einem Trank, der eine Verwolfung verhindern soll.“

Der Werwolf stöhnte leise.

„Was haben Sie denn?“, fragte Ruxli verwirrt.

„Ich finde solche Tränke nicht gut.“, war die knappe Antwort mit eisigem Blick.

„Wieso nicht? Manchmal passt es einfach nicht, das man ist, wie man ist.“, wunderte sich der Zauberer.

Kraushaar sah ihn ernst an. „Man sollte immer so sein dürfen, wie man ist.“, sagte er trocken. „Alles andere ist eine Lüge. Diese Tränke sind nicht gesund, sie machen auf Dauer krank. Vielleicht nicht körperlich krank. Die Werwölfe, die ich kenne, die sowas nehmen, werden irgendwann depressiv. Ich glaube, es ist nie gut, sich selbst zu verleugnen, ob nun Werwolf, Zauberer, Wichtel oder was auch immer.“

Ruxli hielt kurz inne. Das stimmte ja schon, was der Mann erzählte. Aber manchmal geht sowas einfach nicht. Da muss man sich einfach im Riemen reißen, wenn man nicht in die Situation passt.

Sie arbeiteten den Rest des Tages wortkarg nebeneinander her, bis sich Ruxli wieder in sein Labor verzog. Es hatte wieder viele Bestellungen gegeben und die Standardtränke, die sie sonst immer verkaufen mussten auch wieder aufgefüllt werden. Zum Glück war Kraushaar vorn im Laden, er war viel besser im Umgang mit den Kunden. Ruxli war froh, dass er da war. Sie arbeiteten noch nicht so lange miteinander aber es funktionierte gut zwischen ihnen.

Er wollte gerade einen Konzentrationstrank ansetzen. Dieser war bei Schülern und Studenten in der Stadt sehr beliebt, daher mussten immer einige Flaschen als Vorrat im Lager stehen. Da pingte es schon wieder im Liebeskessel. Er hatte vergessen, ihn vom Feuer zu nehmen. Es war eine neue Nachricht.

„Hi, ich fand dein Profil sehr interessant und würde dich gern kennenlernen. Hättest du Lust, mit mir am Samstagabend in die „Fledermaus“ zu gehen? Liebe Grüße, Deine Jule“

Oh, das war mal was anderes. Die Fledermaus war eine kleine Bar am Rande der Innenstadt. Ruxli war noch nie dort gewesen, hatte aber schon von ihren ausgefallenen Kreationen gehört. Er „kesselte“ ein bisschen nach dem Lokal. Die Bilder und Bewertungen waren nicht schlecht. Die Gerichte kamen wohl in winzigen Versionen auf einem Fließband und man konnte sich, nachdem man eine kleine Pauschale bezahlt hatte, einfach an den Tresen setzen und auswählen, was und so viel man wollte. Und die Getränkekarte klang ebenfalls vielversprechend.

Sie trafen sich also am Samstag zum Abendessen in der „Fledermaus“. Die Bar war so experimentell eingerichtet, wie sein Essen. Ruxli fühlte sich ein wenig wie in einem Raumschiff. Überall standen große Säulen, in denen große Blasen in rot-, blau- oder gelbleuchtender Flüssigkeit blubberten.

Jule hatte wie vereinbart eine schrille rot-weiße Katzenbluse und blaue Schleifchen in ihren lockigen roten Haaren.

Sie setzen sich gemeinsam an Theke und wählten ihre Speisehäppchen. Jule hatte Alraunensalat mit Apfel und Walnussstückchen und Ruxli eine Portion frittierten Kugelfisch. Dazu gab es Tee aus abgeworfener und gemahlener Vipernhaut. Ruxli war so starkes Zeug nicht gewohnt und nach einem kleinen Weilchen entfaltete sich dessen Wirkung.

„Sag mal, heißt du wirklich Jule? Das ist ein exotischer Name.“, fragte Ruxli leicht angetüdelt.

„Ja, ich bin eine Halbhexe. Meine Mutter ist eine Nichthexe und mein Vater ein Zauberer. Meinen Bruder haben sie Diablus genannt. Bei mir war meine Mutter am Zug und nannte mich Jule. Wie sieht‘s bei dir aus, wie kommst du zu Günther?“

„Ach, als ich geboren wurde, hatten meine Eltern ihre Esoterikphase und fanden den Namen toll. Ich weiß auch nicht, warum sie mich so genannt haben.“

Sie kicherten beide in ihren Viperntee. Ruxli war erleichtert, jemanden gefunden zu haben, der genauso wenig ins Schema passte, wie er selbst.

„Noch einen Viperntee?“, fragte Jule mit einem leichten Lallen. Sie hatte schon fünf intus.

„Lieber nicht, sonst lacht lauthals der Wahnsinn aus mir. Momentan kichert er nur leise!“, scherzte der Zauberer.

Sie unterhielten sich über vieles. Jule erzählte über ihr kleines Nähtelier für Zauberumhänge, er über seinen Tränkeladen. Sie hatte vor, einen sogenannten Kesselshop einzurichten, sodass Hexen und Zauberer über ihren Kessel nach Umhängen suchen und diese gleich bestellen konnten. Jule würde Ihnen die Bestellung zusenden.

„Wäre auch tranktauglich, dieses Prinzip, hast du da schon einmal drüber nachgedacht?“

Keine schlechte Idee, dachte sich Ruxli. Wenn noch mehr Bestellungen reinkämen, müsste er aber noch einen Tränkebrauer einstellen. Da käme er selbst nicht hinterher und Kraushaar war in dem, was er tat hervorragend, da wollte er ihn ungern von abziehen.

Jule vertrug erstaunlich viel Viperntee. Ruxli hörte nach dem dritten Glas auf, weil er sein Glas mit der Vase vertauscht hatte und den kreischenden Blumen das Wasser weggetrunken hatte. Diese hatten sich natürlich lautstark beschwert und Ruxli und Jule hätten fast vor Prusten ihren Tee über den Tresen gespuckt. Der Barkeeper hatte sie mit entnervten Blicken gestraft.

Nach einem langen Abend verließen sie morgens um vier Uhr die Bar. Sie schwankten gemeinsam lachend durch die Gassen, bis Jule über einen Bordstein stolperte und Ruxli sie noch gerade so auffing.

Nun standen sie sich sehr nahe gegenüber und blickten sich an. Er sah ihre grünen Katzenaugen, ihre schmale Nase und die feinen Lippen, die weiße Haut ihres Gesichtes – in seine Nase zog der Patschuliduft ihrer Haare. Er war sich nicht sicher, was er nun tun sollte. In dem Moment schob sie ihren Kopf nach vorn und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Er erwiderte ihn nicht, war aber auch ratlos, was er nun tun sollte.

„Oh!“, murmelte sie und er sah die Enttäuschung in ihren Augen, „Jetz vasteh ich das … Hicks … hab mir schon am An … An … Anfang gedacht, dassu vielleicht gar nich auf Hexen stehst. Schade!“

Ruxli schaute sie schockiert an und dreht sich um.

Sie seufzte und schwieg einen Moment, fügte aber schnell hinzu: „Naja, war trosem schön! Lass uns das ma wierholen! Und ich glaub … ich glaub, jetzt wird mir schlecht, ich gehe mal nach Hause. Bis bald dann!“

Ruxli dachte erst, das wäre eine Ausrede gewesen, bis sie sich am nächsten Laternenpfahl lautstark übergab. Dann wankte sie kichernd und hicksend die Gasse hinunter.

Den nächsten Tag verbrachte Ruxli im Bett. Die Kopfschmerzen waren heftig und sein Magen fühlte sich ebenfalls noch sehr flau an.

Aber auch Montag, als Kraushaar um zehn Uhr zur Morgenbesprechung im Büro auf ihn wartete, erschien sein Chef nicht.

Draußen schüttete es wie aus Eimern. Der Sturm bog die Bäume hin und her und jagte Hexen, Zauberer, Werwölfe, Menschen, Kobolde und was sonst noch in der Stadt unterwegs war in die Häuser.

Als Ruxli um elf Uhr immer noch nicht unten erschien, stieg Kraushaar die lange Treppe zu dessen Wohnung hinauf. Er klopfte an der Tür.

„Ich bin krank!“ krächzte eine Stimme aus dem Inneren. Kraushaar öffnete die Tür einen Spalt breit.

„Chef, alles klar bei Ihnen?“, fragte er vorsichtig durch den Schlitz, ohne in den Raum zu schauen. Keine Antwort. Er öffnete die Tür weiter. „Chef?“, fragte er ein weiteres Mal, diesmal etwas lauter. Die Wohnung war in einem miserablen Zustand. Der Zauberer stand im Schlafanzug und Bademantel mit Pantoffeln draußen auf dem Balkon, die Haare wirr und das Gesicht bleich.

„Mensch Chef, was ist denn los? Das ist doch nicht schlimm, wenn das mit der Hexe nicht geklappt hat.“, versuchte Kraushaar ihn aufzumuntern. Er war sich allerdings sehr unsicher, was nun folgen würde. Und es kam, wie er befürchtet hatte. Der Zauberer fuhr herum und sah ihn mit verwirrtem und verärgertem Blick an.

„Nicht schlimm?“ kreischte Ruxlipux, „ Als wenn Sie wüssten, was schlimm für mich ist! Sie wissen doch gar nichts über mich! Gehen Sie weg, Sie Besserwisser! Alle denken, sie wüssten, was gut für mich ist. Ich kann das ganz gut allein entscheiden. Wenn Sie sich jetzt auch noch in mein Leben einmischen möchten, dann ist es wohl besser, wir gehen getrennte Wege!“

Kraushaar zog nur die Augenbrauen nach oben. „Wenn ihnen das lieber ist, dann mach ich das gern. Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir für heute noch ein paar Bestellungen haben, die heute Nachmittag abgeholt werden. Sie die schon fertig?“ Kraushaar hatte nicht vor, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Trotzdem schlug ihm das Herz momentan schon etwas höher schlug. Mit dem, was er jetzt sagen würde, lehnte er sich schon recht weit aus dem Fenster. „Wenn ich ihnen was empfehlen darf … vielleicht haben Sie ja das falsche Beuteschema.“

Der Zauber starrte ihn mit großen Augen an.

„Ich mein ja nur, denken Sie darüber nach. Ich habe einen guten Riecher. Ist angeboren.“

Ruxlipux hatte schon von der Auffassungsgabe von Werwölfen gehört. Trotzdem war er davon überrascht, wie genau diese tatsächlich war.

Der Werwolf drehte sich um, stieg die Treppe hinunter und ließ sich im Büro auf seinen Schreibtischstuhl fallen. Dann setzte ein Schreiben auf der Schreibmaschine auf. Fünfzehn Minuten später klopfte er erneut an der Tür des Zauberers und legt ihm einen Brief auf den Tisch und ging ohne Worte.

Im Büro setzte er sich hinter den Schreibtisch, legte die Beine übereinander und wartete.

Nur wenige Minuten später trat ein immer noch zerzauster Ruxli im Bademantel ein. Er hatte sich wieder beruhigt und räusperte sich.

„Es tut mir Leid!“, druckste er leise herum. „Bitte tun Sie das nicht, ich habe das nicht so gemeint!“

„Wie haben Sie es denn gemeint?“, hakte Kraushaar nach.

„Nunja … „; Ruxli zögerte, „Ich weiß es nicht. Ich durchlebe privat gerade ein paar … wie sage ich es … Turbulenzen. Diese sind teilweise nicht leicht zu verkraften. Sicherlich halten Sie mich gerade für durchgedreht …“

„Nein, tue ich nicht.“, antwortete ihm der Werwolf mit bestimmtem Ton. „Aber, wenn Sie wollen, dass ich bleibe, möchte ich, dass Sie sich ein paar Gedanken machen, wie Sie gern sein möchten. Sie haben lange damit gewartet, aber auch das kommt vor. Wollen Sie der Vorzeigeschwiegersohn für jede Mutter einer Hexe sein, den Ihre Mutter gern hätte? Oder möchten Sie mutig sein? Ich verspreche Ihnen, es wird nicht leicht. Aber am Ende lohnt es sich. Ich gehe den Weg mit Ihnen, glauben Sie mir.“

Stille.

„Einverstanden.“, sagte der Zauberer leise, „Dann darf ich diese Kündigung zerreißen?“

„Ihre Entscheidung!“

Der Zauberer riss das Papier langsam in zwei Teile.

Zwei Wochen später …

Jule saß wieder in der Fledermaus. Die Vorbereitungen für Ihren Kesselshop hatten begonnen und Sie hatte in den letzten Tagen sehr viel gearbeitet. Umso mehr hatte sie sich gefreut, als sich Ruxli gemeldet und sie gefragt hatte, ob sie heute Abend Zeit hätte.

Die Musik war heute gut und sie hatte schon den ersten Viperntee zur Einstimmung vor sich stehen. Da tippte ihr jemand von hinten auf die Schulter. Als sie sich umdrehte, sah sie Ruxli vor sich stehen, neben sich einen Werwolf, der gut einen Kopf kleiner war als er. Fröhlich umarmte Ruxli sie. Der Werwolf schüttelte ihr freundlich nickend die Hand.

„Hallo Jule! Schön, dass du Zeit hast. Wie läuft‘s denn bei dir? Das ist übrigens Heribert Kraushaar, mein Geschäftspartner und naja … auch privater Partner.“

Ruxli lief für einen Moment rot an. Es war für ihn sehr ungewohnt, aber irgendwann musste er ja damit beginnen

„Ok, also doch!“, lachte Jule. „Heribert, ich gratuliere! Ein guter Fang. Aber wir müssen ihn noch ein bisschen trinkfester machen. Ich würde vorschlagen, wir fangen gleich damit an! Und Ruxli … Hut ab!“. Sie drehte sich um und rief dem Barkeeper zu: „Hey, Diablo, machst du uns noch drei Viperntee?“

„Kommt sofort! Und ich nehme mal lieber die Blumen weg …“, rief dieser zurück.

Die ganze Woche schon hatten Sie wunderschönstes Herbstwetter gehabt.

Quelle Titelbild: Adobe Stock/shaiith


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