Vor langer Zeit lebte einst ein Ritter, der war unerschrocken und stark wie ein Bär. Eines Tages, als der er auf Aventiure war, ritt er durch einen Wald. Der moosige Boden war von einem tiefen, warmen und glänzendem Dunkelgrün und die Blätter der Bäume und Büsche schillerten in den verschiedensten Grüntönen, weswegen ihn die Leute den Smaragdwald nannten. Sie sagten auch, der Wald sei verzaubert und es traute sich niemand zwischen seine singenden Blätter.
Als der Ritter so durch den Wald ritt, stand er plötzlich vor einem Abgrund. Der war so tief und die andere Seite so fern, dass der Ritter glaubte, er blicke ins Nichts. Es war aber kein gewöhnliches Nichts, dieses Nichts war absolut. Blickte man in den Abgrund, so glaubte man, eine große, undurchdringliche graue Schwere in sich zu haben. Sie lähmte die Glieder und lag schwer auf der Brust. Und mit dieser Schwere kam auch die Angst, welche das Herz mit langen, dünnen Spinnenfingern kalt umklammerte. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte der Ritter eine überwältigende Einsamkeit und eine lähmende Angst durch seinen Körper kriechen.
Furchterfüllt wandte er sich ab und lenkte sein Pferd in die entgegengesetzte Richtung. Nach kurzer Zeit des Reitens öffnete sich vor ihm zwischen den Bäumen ein Tunnel wie von Zauberhand. Die smaragdgrünen Bäume und Büsche wurden zu festen, gläsernen Steinen und fügten sich dicht aneinander. Der Ritter war wie magisch von dem Tunnel angezogen und ritt wie in Trance hindurch. Der Gang führte zu einer ebenso smaragdgrünen, lichtdurchfluteten Halle, an deren Ende ein großer Thron stand. Alles in diesem Raum war aus diesem festen und doch wasserartigem Material, welches den Ritter glauben machte, gleich würde alles in sich zerfließen und er würde von den Wassermassen erschlagen. Und doch war er fasziniert von dem Glanz und dem fremdartigem Licht, welches von überall herzukommen schien, wo der Smaragdwald doch so dunkel gewesen war.
Vor dem Thron stand eine große, wunderschöne Frau. Das rote Haare umrahmte das schneeweiße Gesicht und fiel in sanften Wellen über ihre Schultern. Das auffälligste an ihr war ein schwerer, bodenlanger, rubinroter Mantel, von dem ein warmer, samtiger und fremdartiger Duft ausging. In der Mitte des Mantels war mit Goldfäden ein Wappen aufgestickt, welches einen Löwen zeigte, der ein Buch in seinen Pranken hielt.
‚Gegrüßt seist du, Ritter!‘, sprach die Frau mit samtig dunkler Stimme. Ihm wurde klar, dass sie es gewesen war, die ihn wie in Trance zu der Halle geführt hatte.
‚Du warst am Abgrund, wie ich gehört habe. Ich verrate dir, was es damit auf sich hat. Die Menschen träumen nichts mehr, sie glauben nichts mehr. In ihren Herzen herrscht das Nichts. Das Nichts strömt durch ihre Worte und Gedanken in die Welt. Was du gesehen hast, war die Leere, die aus ihren Köpfen geflossen ist. Dieser Mantel sei für dich!‘
Sie legte ihm den Mantel in die Hände und er spürte den warmen und weichen Stoff durch seine Finger gleiten. Er sog den Duft durch die Nase ein und die Traurigkeit, die bis eben noch sein Herz umklammert hielt, lockerte ihren Griff und verschwand schließlich ganz. Der Mantel umschloss ihn warm und duftend, bis alle Kälte aus ihm entwichen war.
Er bedankte sich und verließ die Frau und der Tunnel schloss sich wie von Geisterhand hinter ihm. Noch einmal berührte er den Stoff des Mantels, um sich zu vergewissern, dass er nicht geträumt hatte. Schlafwandlerisch stieg er auf sein Pferd und ritt davon, in der Nase den süßlich-würzigen Duft und in den Ohren das leise Singen der smaragdenen Blätter.