Der Kavalier

Rosenstrauß

Pavel ist unterwegs. Er möchte seine Frau besuchen. Es ist morgens, die Sonne scheint und am Horizont sieht man noch leicht die Morgenröte. Pavel hat sich schick gemacht, ein frisches, gebügeltes Hemd angezogen, das Haar gewachst und sogar seinen Sonntagshut aufgesetzt. Damit gefällt er ihr immer noch am besten. Er läuft die Straße hinunter. Für den Weg hat er etwas mehr Zeit eingeplant. In seinem Alter geht das alles nicht so schnell. Aber trödeln will er nicht, Maria wartet schon auf ihn.

Luca, sein Nachbar sieht ihn die Straße hinunterlaufen und nickt ihm zum Gruß zu. „Pavel, wo willst du hin?“, ruft er über die Straße. „Bringst du mich runter in die Stadt?“, fragt der Alte. Seine Stimme klingt heiser, wie eine Stimme, die selten benutzt wird. Luca ist sich nicht sicher. „Was willst du denn dort?“ „Komm, nimm mich mit. Ich muss runter.“ Luca fragt nicht weiter. „Ok, steig ein, ich fahre dich.“

Sie fahren die drei Minuten runter in das Dorf und parken neben dem Rathaus.

„Danke, mein Freund!“ Pavel steigt aus und läuft weiter. Dann hält er an. Wo muss er denn eigentlich nochmal lang? „Wo muss ich denn nochmal lang?“, fragt er Luca. „Wo willst du denn überhaupt hin?“ „Na, zu Maria! Wo war denn nochmal das … dieses … Wo ist das …?“ „Wo ist was?“ „Das Haus! Wo ist die Schöne?“

Luca schaut ihn verwirrt an. Er weiß nicht, was Pavel will. „Willst du zur Apotheke?“ „Nein, nix Apotheke! Wo ist die Schöne?“ „Mensch ich weiß nicht, was du suchst?“

Der Nachbar wird nervös. Ich hätte ihn nie mitnehmen dürfen, denkt er sich.

Eine Frau läuft an ihnen vorbei. „Hallo, junge Frau!“, ruft Pavel, „Warten Sie einen Moment bitte! Sprechen Sie Tschechisch?“. Die Frau schaut ihn irritiert an. „Nein, wieso?“ „Wo ist die Schöne?“ „Die wer?“ „Die Schöne!“ „Tut mit Leid, ich kann ihnen nicht helfen.“ Die Frau läuft weiter. Die Situation ist ihr unangenehm. Ein junger Mann kommt vorbei. Pavel versucht noch einmal sein Glück. „Junger Mann! Warten Sie bitte! Können Sie Tschechisch?“ Der Mann schüttelt den Kopf und geht weiter. Keiner hat Zeit. „Mensch Nachbar, komm nach Hause, was willst du denn?“, Luca wird bekommt langsam Angst. Da hat er was angefangen, wie kommt er da bloß wieder raus.

Auch Pavel wird langsam aufgeregt. Warum versteht ihn bloß keiner? Da kommen nochmal zwei Männer. Ziemlich dunkel sehen die aus. Vielleicht Ungarn. Pavel kann ein paar Brocken Ungarisch. Er hat lange genug bei einem Autohersteller am Band mit Ungarn zusammen gearbeitet. Er spricht die beiden an. Sie schauen verwirrt zurück. Dann fragt er wieder auf Deutsch. „Seid ihr Ungarn?“ „Nein, wir sind Iraker.“ „Iraker?“ „Das ist mal ne Sprache, die ich nicht kann.“ Der Alte kratzt sich am Kopf. „Können wir Ihnen helfen?“, fragt der kleinere der beiden. „Wo ist die Schöne?“ Die Männer runzeln die Stirn. Auch sie wissen nicht, wo die Schöne ist. „Was ist Schöne?“, fragt der Große. „Die Schöne ist in Nemocnice.“, wiederholt Pavel. Er versteht immer noch nicht, warum keiner weiß, was er meint.

„Komm Pavel, keiner weiß, was du meinst!“, Luca will am Liebsten verschwinden. Da hat er was angestellt. Was soll das bloß werden …

Es kommt eine junge Frau. „Hey, junge Frau!“, „Ach Nachbar, lass das doch!“ „Nein, nochmal probieren!“ „Junge Frau, sind Sie Deutsche?“ Er fragt lieber nach, die Frau sieht freundlich aus. „Dobry dien!“, grüßt Pavel freundlich. Er probiert einfach mal alle Sprachen aus, die ihm in den Sinn kommen. „Alles in Ordnung?“, fragt die Frau. „Wo ist Schöne?“, fragt der alte Mann. „Was meinen Sie?“ „Die Schöne!“, er wiederholt es immer und immer wieder. Mit Händen und Füßen versucht er zu erklären. Die Frau scheint gar nicht so dumm. Sie rät sich durch sein Kauderwelsch. Irgendwann hat sie es. Er will zum Altersheim, genau, das war das Wort. Altersheim. Dort ist seine Frau. Dort muss er hin. Die Frau wartet eine Sekunde. „Schauen Sie mal, es ist doch schon so spät. Ihre Frau schläft doch schon.“ „Nein, die schläft nicht, es ist doch früh am Morgen.“ „Es ist acht Uhr abends. Sie haben sich ein bisschen in der Zeit vertan.“ Die Frau schmunzelt. „Schauen Sie mal. Ihre Frau schläft bestimmt schon. Gehen Sie nach Hause. Morgen früh, dann stehen Sie früh auf, kaufen Ihrer Frau ein paar Blümchen und dann freut die sich sicherlich richtig doll drüber. Wollen Sie sie etwa so ohne Blumen besuchen?“ Da hat die Frau Recht. Er sollte ihr ein Blümchen mitbringen. Da würde sie sich sicher freuen. Er bedankt sich auf Russisch und lässt sich von Luca nach Hause fahren.

Jana, seine Älteste wartet schon zu Hause. Sie hatte schon die Polizei angerufen aber nur weil ihr Vater ein paar Stunden weg war, rückten die noch nicht aus. Als sie mit dem Geschirrtuch die Tür aufreißt, weint sie fast vor Erleichterung. Sie holt ihren Vater rein. „Mensch Papa, wo warst du denn unterwegs?“ Sie versucht, sich nichts anmerken zu lassen. „Setz dich erstmal hin.“ Neben seinem Sessel im Wohnzimmer steht das Regal mit den Bildern. Dort ist auch Maria. Er hatte das Bild gemacht, als sie Goldene Hochzeit gefeiert hatten und zusammen in den Urlaub gefahren waren. Dort steht sie in Ihrem blauen Kleid am Strand von Krk in Kroatien. Immer noch hübsch wie mit 20, als sie geheiratet hatte. Anders hübsch ist sie auf dem Bild natürlich, aber immer noch eine wunderschöne Frau. Er bemerkt, dass er noch seine Schuhe an hat und der Hut noch auf dem Kopf sitzt. Warum war er nochmal draußen? Ach, nicht so wichtig.

In der Küche schimpft Jana leise mit Luca. „Warum zum Teufel hast du ihn in die Stadt gefahren, ohne mich zu fragen?“ „Ich wollte nett sein!“, antwortet Luca reumütig und zuckt mit den Schultern. Das wollte er auch, sie glaubt es ihm. „Bitte tu das nie wieder. Frag immer mich.“

Pavel hatte sich heute in der Zeit geirrt, er wusste es aber nicht mehr. Es war nicht früh am  Morgen gewesen, sondern spät am Abend. Pavel war nach dem Mittagspäuschen etwas durcheinander aufgewacht. Aber er war nicht nur ein paar Stunden, sondern ganze 10 Jahre zu spät. Aber er wusste nicht mehr, dass seine Schöne die Anschrift gewechselt hatte, sie war vor 10 Jahren gestorben. Er weiß jetzt, dass er zu Hause ist. Jana bringt das Abendessen. Er hat auch schon Hunger.

Und morgen kauft er Maria ein paar schöne Blümchen und geht sie besuchen. Dann freut sie sich bestimmt, seine Schöne.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent Banner von Real Cookie Banner